
Wir sind alle ein bisschen Amerika
Die Europäer sind ein buntes Völkchen. Im Erbgut tragen sie Spuren von mindestens zwei großen Ahnen-Populationen. Nun haben Forscher noch einen dritten Ast im Stammbaum entdeckt - eine Verbindung nach Amerika. Unser neuer Vorfahr. Zu Beginn der Jungsteinzeit lebte er im Norden Eurasiens. Ein kleiner Anteil seiner Gene steckt heute in fast jedem Europäer, egal ob Schwede, Spanier, Engländer oder Ungar. Und diese Gene verbinden uns sogar mit den Ureinwohnern Amerikas. Die Entdeckung unseres nordeurasischen Ahnen verdanken wir einem internationalen Forscherteam von der Universität Tübingen und der Harvard Medical School. Die Forscher hatten das Erbgut von Ur-Europäern mit dem heute lebender Menschen verglichen. Die meisten der heutigen Europäer stammen demnach von mindestens drei verschiedenen Populationen ab: von Jägern und Sammlern, den ersten Bauern auf dem Kontinent und von einer Population aus dem Norden Eurasiens. Über die Ergebnisse des Genvergleichs berichten die Forscher im Fachblatt "Nature". Bisher kannten Wissenschaftler nur zwei dieser Stammbaum-Äste. Der erste sind die ursprünglichen Jäger und Sammler Westeuropas. Den Zweiten bilden die frühen Bauern aus dem Nahen Osten, die vor etwa 7.500 Jahren nach Europa einwanderten. Nun kommt mit den Nordeurasiern ein dritter dazu, der sich zudem als genetischer Link zu den Ureinwohnern Amerikas entpuppt. Grundlage der Studie bildete das Erbgut von neun Ur-Europäern. Die Knochen stammten von einer etwa 7000 Jahre alten Bäuerin, deren Überreste in Deutschland gefunden worden waren sowie von acht etwa 8000 Jahre alten Jägern und Sammlern aus Luxemburg und Schweden. Dann verglichen die Forscher diese Gendaten mit jenen von 2345 Menschen aus der ganzen Welt. "Die Mischung aus drei Ahnenpopulationen war eine große Überraschung", sagt David Reich von der Harvard Medical School in einer Pressemitteilung. "Wir hatten bereits früher eine alte genetische Verbindung zwischen heutigen Europäern und ursprünglichen Amerikanern gefunden", ergänzt Nick Patterson vom Broad Institute in Boston. "Diese Komponente war aber erstaunlicherweise weder beim Jäger aus Luxemburg noch bei den ersten europäischen Bauern zu finden." Wie eng Europäer miteinander verwandt sind, hatte sich auch schon in früheren Studien gezeigt. Eine Analyse des Erbguts von mehr als 2000 Menschen im Jahr 2013 ergab, dass fast jeder Bewohner des Kontinents mit fast jedem anderen viele Vorfahren teilt, wenn man nur tausend Jahre zurückgeht. Nun wissen wir: Die allermeisten von uns haben Ahnen aus allen drei großen Abstammungsgruppen - Nordeuropäer allerdings mehr Jäger und Sammler, Südeuropäer mehr Bauern. Aller Wahrscheinlichkeit nach stammen von den Jägern und Sammlern die blauen Augen und dunkleren Hauttöne, von den Bauern hingegen die braunen Augen und die hellere Haut.Erbgut der Nordeurasiern tragen wir zwar im Verhältnis nur wenig in uns - es macht kaum mehr als zwanzig Prozent des Genoms aus. Dafür aber haben die Gene dieser Population sich flächendeckend über ganz Europa bis in den Kaukasus und den Nahen Osten hinein ausgebreitet.